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Variablenanalyse

Bei der Variablenanalyse handelt es sich um eine phonetisch-phonologische Auswertungsmethode, die eine quantitative Erfassung regionalsprachlicher Varianten in Sprachaufnahmen ermöglicht. Damit trägt sie einerseits einen wesentlichen Teil dazu bei, die Regionalsprachlichkeit einer Sprachaufnahme zu erfassen und lässt andererseits, verschiedene Sprachaufnahmen hinsichtlich ihrer Variantenprofile gegenüberstellen.

Arbeitsschritte

Eine Variablenanalyse setzt sich aus zwei Arbeitsschritten zusammen:

1. Die Bestimmung der Variable und ihrer Varianten.

2. Das Auszählen der Varianten in einer Sprachaufnahme, was auch als Frequenzanalyse bezeichnet wird.

Zu 1. Die Bestimmung der Variable:

Für die Bestimmung einer Variable muss zunächst ihr sprachliches Bezugssystem ausgewählt werden. Dieses ist entweder ein standardsprachliches, wodurch ihre Varianten auf die gängigen Aussprachewörterbücher referieren, oder ein historisches wie zum Beispiel das Mittelhochdeutsche.

Welche Konsequenzen die Wahl des Bezugssystems hat, wird kurz am standardsprachlichen Diphthong /a͡ɪ̯/ (vgl. Duden 2023) in heiß und Eis gezeigt (ausführliche Variablenbestimmungen und ihre Analysen finden sich in zahlreichen Publikationen, vgl. dazu den Abschnitt weiter unten Auswahl an Publikationen im REDE-Projekt mit Variablenanalysen).

Dort, wo sich heute standardsprachliches /a͡ɪ̯/ findet, liegt im Mittelhochdeutschen ei – gesprochen äi – oder langes i (mhd. î) vor. Diese etymologische Distribution führt dazu, dass im mittelbairischen Dialekt der Diphthong in heiß aus mhd. î hoaß gesprochen wird und in Eis aus mhd. ei Äis lautet. Würde man in diesem Fall auf das standardsprachliche Bezugssystem referieren, könnte es naheliegen, den Diphthong in Äis für Eis standardnäher zu interpretieren als hoaß für heiß, obwohl – historisch betrachtet – mit beiden Varianten eine dialektale Form wiedergegeben wird (vgl. Limper 2024, 65–67). Um zu bestimmen, welche Varianten sich bei einer Variable gegenüberstehen, ist also die Wahl des Bezugssystems entscheidend.

Als Beispiel untersuchter Variablen im REDE-Projekt entstandener Publikationen dient die Übersicht in Abb. 1 aus Kehrein (2012, 141) für Waldshut-Tiengen im West-Oberdeutschen (Ortssigle WT; zum REDE-Ortsnetz geht’s hier):

Abbildung 1: Übersicht der untersuchten Variablen in Kehrein (2012, 141)

Zu 2. Das Auszählen der Varianten:

Nachdem die Variable mit ihren Varianten bestimmt wurde, beginnt die Auswertung der Sprachaufnahmen. Hierfür werden die Sprachaufnahmen angehört und die Häufigkeit der Varianten notiert. Für im REDE-Projekt entstandene variationslinguistische Arbeiten (siehe dazu den Abschnitt weiter unten Auswahl an Publikationen im REDE-Projekt mit Variablenanalysen) berücksichtigen Variablenanalysen in der Regel alle drei Sprechergenerationen (jung, mittel, alt) mehrerer REDE-Orte einer oder mehrerer Dialektregionen und die folgenden REDE-Aufnahmesituationen:

  • die Übertragung der 40 Wenkersätze in die intendierte Standardsprache (WS ISS)
  • das leitfadengesteuerte Interview mit einer Exploratorin bzw. einem Explorator (I)
  • das freie Gespräch/Freundesgespräch mit einem vertrauten Gesprächspartner oder einer vertrauten Gesprächspartnerin in Abwesenheit der Exploratorin oder des Explorators (FG)
  • die Übertragung der 40 Wenkersätze in den intendierten Ortsdialekt (WS IOD)

Zur Ergebnisveranschaulichung einer Frequenzanalyse dient die Tabelle in Abb. 2. Die Tabelle listet die relativen Häufigkeiten der „dialektalen Varianten“ aus Abb. 1 für den junge REDE-Sprecher aus Waldshut-Tiengen (WTJUNG1) in den REDE-Aufnahmesituationen: „Dialektkompetenz“ (=WS IOD), Freundesgespräch, Interview und „Standardkompetenz“ (= WS ISS).

Abbildung 2: relative Variantenverteilung des jungen REDE-Sprechers in Waldshut-Tiengen (WTJUNG1), aus Kehrein (2012, 175)

Auswahl an Publikationen im REDE-Projekt mit Variablenanalysen

Für variationslinguistische Arbeiten verschiedener Sprachräume in Deutschland, die im Rahmen des REDE-Projekts entstanden sind, ist die Variablenanalyse eine der zentralen Auswertungsmethoden. Umfangreiche Variablenanalysen finden sich unter anderem in:

  • Limper, Juliane (2024). Regionalsprachliche Spektren im Bairischen. Stuttgart: Steiner (= Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Beihefte 195).
  • Bohnert-Kraus, Mirja (2020). Regionalsprachliche Spektren im Mittelalemannischen. Hildesheim/Zürich/New York: Olms (= Deutsche Dialektgeographie. 125).
  • Vorberger, Lars (2019). Regionalsprache in Hessen. Eine Untersuchung zu Sprachvariation und Sprachwandel im mittleren und südlichen Hessen. Stuttgart: Steiner (= Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Beihefte 178).
  • Kehrein, Roland (2012). Regionalsprachliche Spektren im Raum – Zur linguistischen Struktur der Vertikale. Stuttgart: Steiner (= Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Beihefte 152).
  • Kehrein, Roland (2008). Regionalsprachliches Spektrum in der Kleinregion Waldshut-Tiengen (Hochalemannisch). Marburg: Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas. Online verfügbar unter: < http://archiv.ub.uni-marburg.de/es/2015/0001/pdf/2008_Kehrein_Spektrum_WT.pdf> (abgerufen am 15.10.2024).

Eine vollständige Liste alle im REDE-Projekt entstandenen Publikationen findet sich hier.

Literatur

Duden = Kleiner, Stefan/Knöbl Ralf (2023). Duden – Das Aussprachewörterbuch. Duden – Deutsche Sprache in 12 Bänden.

Kehrein, Roland (2012). Regionalsprachliche Spektren im Raum – Zur linguistischen Struktur der Vertikale. Stuttgart: Steiner (= Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Beihefte 152).

Limper, Juliane (2024). Regionalsprachliche Spektren im Bairischen. Stuttgart: Steiner (= Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Beihefte 195).